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Valerie Fritsch: Winters Garten

Licht aus. Vorhang auf. Film ab.

Was wir sehen: Eine Welt, die im Begriff ist, unterzugehen. Die Menschen werden dünner und stummer, sie warten geduldig auf das Ende oder laufen ihrem Tod entgegen, stürzen sich in Scharen ins Meer oder finden für eine Nacht zusammen, um sich am nächsten Morgen gemeinsam umzubringen. Eine Stadt, die von der Natur überwuchert wird, durch die wilde Tiere jagen und sich mit entlaufenen Zootieren mischen. Alles zerfällt… und dann zoomt die Kamera auf einen einsamen Mann: mittendrin in diesem schrecklich schönen Weltuntergang wohnt Anton Winter, der Vogelzüchter. Hoch oben in seiner Dachlaube versorgt er seine Vögel und blickt auf die sich verändernde Stadt. Etwas trennt ihn von seinen Mitmenschen: eine Erinnerung. An den Garten seiner Kindheit, weit draußen vor der Stadt. Ein merkwürdiger, verschlungener Urwald aus sonniger Ewigkeit, in dem die Alten abends auf der Veranda die Säuglinge in den Schlaf wiegen, alles wächst und gedeiht und in dem es nur die Gegenwart gibt.

Und dann passiert etwas Unvorhergesehenes: Anton Winter verliebt sich. In Friederike. Die Frau, die in der letzten verbleibenden Klinik mitten im großen Sterben als Hebamme arbeitet. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg in den Garten der Kindheit. Und mitten in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist und keine Zukunft mehr kennt, wagen sie einen Anfang.

Und viel zu früh: Ende. Wir stolpern aus dem Kinosaal, blinzeln im hellen Sonnenlicht und stehen noch ein paar Minuten zusammen. Und, wie hat es dir gefallen? Hmm. Irgendwie besonders, dieses feine Poesiestück. Etwas im Blick auf die Welt hat sich verändert – als hätte jemand die Belichtung geändert. Über allem liegt ein satter gelber Farbfilter, wie auf alten Fotografien – alles so schön, alles so vergänglich.

 

Empfohlen von Maja Kuß

Valerie Fritsch: Winters Garten

154 Seiten, ISBN: 9783518466650, 10,00€, Suhrkamp

Erschienen: 07. März 2016