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Hanya Yanagihara: Zum Paradies

Mit »Ein wenig Leben« hat Hanya Yanagihara einen Text geschaffen, der weltweit zum Erfolgstitel avancierte. Nun hat sie mit »Zum Paradies« einen Roman vorgelegt, der – ähnlich umfangreich wie »Ein wenig Leben« – an den großen gesellschaftspolitischen Diskursen der Gegenwart partizipiert.

Die drei (vorgeblich nur lose miteinander verbundenen )Teile von »Zum Paradies« werden durch den zentralen Handlungsort des Romans, ein Wohnhaus am New Yorker Washington Square, zusammengehalten. Tatsächlich knüpft Yanagihara damit an das erzählerische Werk des großen Romanciers Henry James an, was noch augenscheinlicher wird, wenn der Roman im Jahr 1893 einsetzt und von dem vermögenden Erben David Bingham erzählt, der eine nicht standesgemäße Beziehung zu einem jungen Musiklehrer eingeht. Und auch Anspielungen auf Virginia Woolf, Michael Cunningham und Margaret Atwood lassen sich ausmachen, wenn in den weiteren Teilen des Romans von Manhattan im Bann der AIDS-Epidemie (1993) und von einer von Seuchen zerrissenen, autoritär kontrollierten Welt erzählt wird (2093).

Doch es sind nicht diese intertextuellen Relationen, die Yanagiharas neuen Roman wider anderslautender Kritik zu einem großen Werk machen. Es ist vielmehr die zutiefst menschliche Ebene, die dem Schicksal ihrer Protagonisten und den fiktional aufgeladenen Jahrhunderten, in den sie leben, eingeschrieben ist. Greifbar wird dies in der Sehnsucht nach einem anderen Ort, die die zentralen Charaktere teilen, ein Ort, an dem man nicht fremd, an dem man heil ist:

»Was also, wenn dies tatsächlich das Himmelreich war? Würde er es wissen, wenn es so wäre? Vielleicht nicht. Aber er wusste, es war nicht dort, woher er kam: Das war das Himmelreich eines anderen, nicht aber seines. Seines war anderenorts, doch es würde nicht einfach vor ihm erscheinen, er würde es vielmehr finden müssen. Und war es in der Tat nicht das, was man ihn sein ganzes Leben lang gelehrt, worauf man seine ganze Hoffnung gelenkt hatte? Nun war es an der Zeit zu suchen. Nun war es an der Zeit, mutig zu sein. Nun musste er allein gehen. Also würde er noch ein Augenblick lang hier stehen bleiben, den bleischweren Koffer in der Hand, und dann würde er Atem holen, und dann würde er seinen ersten Schritt tun; seinen ersten Schritt in ein neues Leben; seinen ersten Schritt – zum Paradies.«

Empfohlen von Markus Felsmann

Hanya Yanagihara: Zum Paradies

896 Seiten, ISBN 978-3-546-10051-9, claassen, 30,00€

Erschienen: 11.01.2022