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Michail Ossorgin: Eine Straße in Moskau

Was für ein gewaltiger Roman und tolle Wiederentdeckung aus dem Jahr 1928!

Den großen Schrecken und die gewaltigen Auswirkungen des Ersten Weltkriegs, der Russischen Revolution 1917 und des folgenden Bürgerkrieges versucht dieser Roman im Kleinen zu begreifen, verankert in einer Nebenstraße Moskaus. Hier wohnt der Ornithologe Iwan Alexandrowitsch mit Ehefrau, jugendlicher Enkelin und Personal. Zu Besuch kommen in musikalischen Abendgesellschaften weitere Freunde und Bekannte des Hauses. Alle haben ihren Platz und ihre kleine Rolle im Weltgeschehen.

Ossorgin verfolgt diese Schicksale in kurzen Kapiteln, szenenartig wirft er dabei seine Schlaglichter auf Begegnungen und Geschehnisse. Ganz toll sind dabei auch jene Kapitel, die scheinbar losgelöst vom sonstigen Geschehen symbolhaft und bildgewaltig ins Tierreich übergehen, und hier etwa von rivalisierenden Ameisenstämmen, sich bekämpfenden Zooaffen oder wilden Wölfen handeln.

Soghaft hat Ossorgin mich damit in das Russland dieser Zeit gezogen. Gleichzeitig ist dies ein Roman, der losgelöst vom zeitlichen Kontext um existenzielle Fragen das Menschsein kreist.  Und zuletzt: es ist auch einfach eine wunderschöne Ausgabe, die man da in den Händen hält – wie üblich bei den Bänden der Anderen Bibliothek.

Nachtrag: Vor wenigen Tagen wurde bekannt gegeben, dass Ursula Keller für ihre Übersetzung von „Eine Straße in Moskau“ für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert ist. Ich drücke die Daumen!

 

Empfohlen von Marie Franck

Michail Ossorgin: Eine Straße in Moskau

519 Seiten, ISBN: 978-3-8477-2012-0, 24,00€, Die Andere Bibliothek

Erschienen am 21. Dezember 2015