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Han Kang: Die Vegetarierin

Dieses bereits vor neun Jahren in Korea erschienene Buch war im vergangenen Jahr der überraschende Sieger des Man Booker International Prize. Die britische Presse war hingerissen von der poetischen Sprache der 45-jährigen Autorin. Ich war sehr gespannt auf diesen Text mit dem, nun ja, sehr extravaganten Inhalt. Also, worum geht‘s?

Es geht um nicht weniger als die Geschichte einer totalen Verweigerung: urplötzlich beschließt Yeong-Hye, kein Fleisch mehr zu essen. Das klingt nicht gerade nach einem Entschluss, der die Grundfesten einer Ehe erschüttern sollte, aber so ist es. Der Ehemann, der diesen Vorfall schildert, ist erbost - hatte er doch extra eine durchschnittliche und bedürfnislose Frau geheiratet, die seinen Anweisungen und Ansprüchen bislang auch klaglos Rechnung trug! Und nicht nur das bekümmert ihn, nein, sie mag auch nicht mehr das Bett mit ihm teilen, weil "er nach totem Tier stinkt". Alle Versuche, sie mit Hilfe der Familie zu Besinnung zu bringen, scheitern. Ein Familienfest eskaliert, als Yeong-Hyes Vater gewaltsam versucht, sie mit Fleisch zu füttern: Sie schneidet sich die Pulsadern auf, ihr Schwager ist der einzige, der ihr zu Hilfe kommt.

Nun wechselt die Erzählperspektive und der Schwager ergreift das Wort. Die Vegetarierin ist mittlerweile von ihrem Mann verlassen worden, lebt nun allein und ist reichlich abgemagert ... und noch wortkager und klagloser als in ihrer Ehe.

Die Frau, die im ersten Teil von ihrem nörgelnden Mann als leidenschaftslose (und gesichtslose) Frau geschildert wird, weckt in ihrem Schwager eine Begierde, die zur Obsession wird und die dazu führt, dass eine Familie auseinanderbricht und Yeong-Hye, mittlerweile in eine Heilanstalt gebracht, jegliche Nahrungsaufnahme verweigert. Ihr Wunsch besteht nur noch darin, ein Baum zu werden.

Ein wirklich rätselhaftes Buch. Die Protagonistin wird nicht fassbar. Die unterschiedlichen Erzählstimmen kommen der psychischen Disposition Yeong-Hyes nicht einen Moment nahe und so bleibt die Hauptperson des Buches mysteriöserweise die Leerstelle des Buches. Und dennoch! Es ist nicht so, dass man als Leser nicht versucht, diese undurchsichtige Person zu ergründen. Im Gegenteil, ich habe die seltsame Konturlosigkeit als bis auf die Spitze getriebene Anpassungsfähigkeit und Selbstoptimierung gedeutet: Der Entschluss der letztlichen Nahrungsverweigerung als Totalverweigerung und willentlicher Akt der Rebellion. Aber was hat es mit dem Wunsch, eine Pflanze zu werden, auf sich?

Ich werde darüber weiter nachdenken - und hoffe auf weitere Leser und ihre Interpretation!

 

Empfohlen von Kirsten Willeken

Han Kang: Die Vegetarierin

190 Seiten, ISBN: 978-3-351-03653-9, 18,95€, Aufbau

Erschienen am 15. August 2016